Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) nahm das Interesse an der Freimaurerei in Deutschland, aber besonders am Freimaurer-System der Strikten Observanz stark zu. Die Rituale der ersten drei Grade, die einen altenglischen Einschlag haben (Ancient-Tradition genannt), waren ab 1756 allen Logen des Systems zugänglich. Der Grad, der des Schottischen Meisters, leitete sich u.a. aus dem Ritual von 1741 von Andrew Michael Ramsay (1686-1743) ab. Dieser Schottische-Meister-Grad kam schon früh nach Deutschland, wahrscheinlich zuerst nach Berlin (Schottenloge „L’Union“) durch Samuel Graf von Schmettau (1684-1751).

Karl Gotthelf von Hund und Altengrotkau (1722-1776), der Gründer der Strikten Observanz, wurde 1742 auf einer Reise nach Brüssel höchstwahrscheinlich nach genau dem o.g. Ritual zum Schottischen Meister und St. Andreas-Ritter geweiht. In ihm finden sich neben dem Rachegedanken und den Jakobiten-Hinweisen (z.B. Schwur auf den König von Schottland, die Stewarts) auch Harodim-Symbolismus aus York und alchemistische Komponenten wieder. Für die Strikte Observanz wurden die ritterlichen Komponenten entfernt und in die Grade Novize (V) und Tempelritter (VI) überführt. Die alchemistischen Komponenten blieben verschleiert und wenig thematisiert, aber dennoch subtil erhalten, und der Rachegedanke wurde komplett ins Gegenteil verkehrt. Mit der gleichen Quelle wird Karl XIII. von Schweden seine Andreasgrade in der Reform zwischen 1778 bis 1780 anpassen, die später auch in der Reform Mitte des 19. Jahrhunderts in der Großen Landesloge (GLL FvD) Gestalt annehmen. So entstehen bis spätestens 1756 die Inhalte der Strikten Observanz, die in zunächst sechs Graden vermittelt wurden:
| Grad | Gradbezeichnung | Entwicklung | Tradition |
| I | Lehrling | 1751-1756, 1772 | Ancient |
| II | Geselle | 1751-1756, 1772 | Ancient |
| III | Meister | 1751-1756, 1772 | Ancient |
| IV | Schottischer Meister | 1741-1751, 1772 | Ramsey |
| V | Novize | 1743-1761, 1772 | Clermont |
| VI | Tempelritter | 1743-1761, 1772 | Clermont |
Ein Vorteil war die Klarheit und die Stringenz der Strikten Observanz. Sie war in den ersten drei Graden nicht von der herkömmlichen und damals immer populärer werdenden Freimaurerei zu unterscheiden. Der Charakter der Strikten Observanz entsprach vollends dem Zeitgeist. Die straffe Disziplin, die kultivierten Umgangsformen bei den Versammlungen, die Einhaltung gesellschaftlicher Umgangsformen zwischen Oberen und Untergebenen, die guten Manieren und die wohltätige Gesinnung unterschied sie von anderen Freimaurerlogen oder Vereinigungen des 18. Jahrhunderts. Hierdurch trat sie vorteilhaft vor den zahlreichen maurerischen Zusammenschlüssen hervor, bei denen mangelnde Disziplin, Rohheit der Manieren, Vulgarität der Reden, Schroffheit im Umgang, Alkoholexzesse, Raufereien und Spielleidenschaft üblich waren und die oft die Entrüstung kultivierter Brüder in den eigenen Reihen erregten.
Ein weiterer Vorteil war die saubere Trennung zwischen Freimaurerei und Tempelrittern. Sie hatte alle freimaurerisch-templerischen Elemente jener Zeit in ein zusammenhängendes Lehrgebäude zusammengeführt. Die Idee der Herkunft der Strikten-Observanz-Freimaurerei aus den Tempelrittern basierte nicht darauf, dass die Tempelritter die Freimaurerei erfunden hätten, sondern dass sich die Freimaurer-Version der Strikten Observanz auf der schottischen Insel Mull – sondern darauf, dass auf einen gleichberechtigten Zusammenschluss der dortigen freien Maurer und den geflohenen Tempelritter-Aktivisten entwickelt haben soll. Dabei nutzte v. Hund u.a. Fragmente einer der ältesten Versionen der Templermaurerei-Legenden, die zu der Zeit besonders im französischen Sprachraum kursierte.
Die älteste Version der Legende
Eine der ältesten Versionen der Templermaurerei-Legende besagt, dass es eine nahtlose und historische Verbindung der Freimaurerei zu dem 1312 beim Konzil von Vienne aufgelösten Tempelritterorden gibt. Dabei sollen von den Überlebenden der Verfolgungen Geheimnisse tradiert worden sein, die zu unvorstellbarer Macht oder zu Vermögen oder zu großen Mysterien führen. Die verschiedenen Versionen dieser Legende sprechen auch von einer Liste, die zu den Salomonischen Tempelschätzen oder der Auffindung der Bundeslade führen soll oder von alchemistischen Prozeduren Gold herzustellen. Es wird auch der Schlüssel zum Salomonischen Tempel selbst erwähnt und noch Vieles mehr.
Die heute als die älteste Fassung verstandene Legende wurde in einem Manuskript in Straßburg entdeckt, das auf ca. 1760 datiert ist. Das in französischer Sprache abgefasste Heft trägt den Titel »Zweiter Abschnitt: Von der Freimaurerei unter den Christen« und besagt etwas zusammengekürzt, dass die Chorherren vom Heiligen Grab, die sich nach der Eroberung des Heiligen Landes durch die Kreuzfahrer, in Jerusalem niedergelassen haben, direkt von den Essenern abstammten. Sie seien Verwahrer geheimer, empfangener Kenntnisse und hätten den ursprünglichen Orden der Essener, der nach der Zerstörung des Tempels durch Titus in Verfall geraten sei, wiederhergestellt. Als Hugo de Paganis und seine acht Weggefährten, sich an der Stelle, wo der Salomonische Tempel einst stand, zwischen den beiden wiedererstandenen (biblischen) Säulen versammelt und den Templerorden gegründet hatten, stellten die Chorherren vom Heiligen Grab bald fest, dass die neue Bruderschaft trotz des militärischen Anstrichs dem geistigen Ziel ihres Ordens entspreche; deshalb haben sie sich dem Templerorden angeschlossen, seine Gründer in große Mysterien eingeweiht und den ursprünglichen Orden der Essener unter dem Namen der Templer wiederhergestellt. (Die damaligen drei Ordensabteilungen = Heiligster Orden: Orden der Essener; Innerer Orden: Chorherren des Heiligen Grabes und Äußerer Orden: Orden der Tempelritter.)
Das Auffällige jedoch daran ist, dass die im System der Strikten Observanz genutzte Version der Templermaurerei-Legende zuerst einmal keinen Bezug auf die Essener nimmt, womit eine religiöse Gruppe im antiken Judentum vor der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n. Chr.) gemeint sein könnte, sondern bei den Chorherren vom Heiligen Grab. Diese Verbindung zu den Essenern wird erst mit Johann August von Starck (1741-1816) als VII. Grad 1772 in das System der Strikten Observanz eingeführt werden, womit dann die Strikte Observanz zu einem Sieben-Grad-System und sich schließlich zu einem wahrnehmbaren mystischen Lehrgebäude in der gesamten damaligen Freimaurerei weiterentwickelt.
| Grad | Gradbezeichnung | Entwicklung | Tradition |
| VII | Berufener Ritter | 1761, 1772-1174 | von Starck |
Die Strikte Observanz sorgte u.a. durch Aufstellung fester Gebühren, deren Einnahme strenger Buchführung unterstellt war, dafür, dass die Ausbeutung aufhörte, deren Opfer Freimaurer wurden, die an Hochgraden und weiterführenden Graden interessiert und finanziell geschröpft wurden. Denn die Templermaurerei wurde von Scharlatanen regelrecht als Einnahmequellen missbraucht. Durch die Einheitlichkeit der Rituale, deren Durchführung und Instruktionen bzw. Vermittlung von moralischen, historischen und mystischen Interpretationsebenen wurde die Tiefe des Systems immer deutlicher, aber auch immer „gefährlicher“ für die anderen Freimaurer-Systeme jener Zeit. Doch die Strikte Observanz entwickelt sich unbehelligt aller freimaurerisch-politischen Wirren weiter.

Beide, v. Strack und v. Hund, beginnen nun die Rituale anzupassen und gerade zu ziehen, was auch 1772 im „pactum fundamentale“ gefestigt und 1774 vollendet wird. Dabei setzten sie eine Kommission in Gang, die darauf achtet, dass die Rituale nicht zu sehr geändert werden und dass dabei die mystischen und templerischen Inhalte verstärkt zum Tragen kommen, die bereits in den Texten immer wieder aufflammten, aber nie gänzlich thematisiert wurden. Denn beide waren doch erstaunt, wie das Hand in Hand ging, d.h. wie bereits das Meiste in den Ritualen der Strikten Observanz enthalten, aber unausgesprochen geblieben ist, aber den Weg zu den Essenern offen ließ. Wie beim Zusammenschluss um 1118 blieben die Chorherren ein Orden im Tempelritter-Orden, genauso verstand wie sich v. Stracks und sein System namens „Klerikat“ als Orden im Tempelritterorden wahrnahm. Alle Anpassungen und Änderungen führten aufgrund der fehlenden Entwicklungsmöglichkeit und auch wegen der mangelnden Zeit nicht zum Ziel, denn letztendlich hatten die Angriffe gegen die Strikte Observanz durch die gegnerischen Freimaurer-Systeme zum Wilhelmsbader Konvent und zum Niedergang geführt. Die Strikte Observanz lebt in verschiedenen Formen als Hochgrad-System in Frankreich und in der Schweiz weiter, aber ihr Wesenskern ist kaum wiederzuerkennen. Ihre Attraktion bleibt allerdings über die Jahrhunderte hindurch unverändert. Es entwickeln sich außerdem viele Legenden um die Strikte Observanz selbst …
Das Wiedererblühen der Strikten Observanz in Frankreich
Nach der Französischen Revolution (1789) erlebt die Strikte Observanz, die auf den Konventen von Lyon (1778) und Wilhelmsbad (1782) zum „Rektifizierten Schottischen Ritus“ umgestaltet wurde, viele Wechselfälle. Die Folge ist, dass die Präfektur Besançon, die zur V. Ordensprovinz gehörte und Burgund genannt wurde, 1828 ein Teil ihrer Archive an Genf übergibt, bevor sie ihre Arbeit einstellt. Das „Unabhängige Großpriorat von Helvetien“ (UGPH) als übrig gebliebener und weiterarbeitender Teil der V. Ordensprovinz von Burgund bewahrt Authentizität und Autorität des Rektifizierten Schottischen Ritus durch die Jahrhunderte hinweg und verleugnet aber immer mehr ihren Ursprung.
1995 erwecken in Frankreich Freimaurer der Grande Loge Nationale Française die Strikte Observanz der Templer erneut zum Leben, nachdem sie ab 1993 Europa bereist und historische Dokumente zusammengetragen haben. Sie wollen aber zu den Ursprüngen zurück und gründen die gemischte Schottische Großloge der Strikten Observanz der Templer und reinstallieren die III. Ordensprovinz von Okzitanien.

Die französischen Schwestern und Brüder legen großen Wert darauf, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, und geben dem 7. Grad genug Zeit zur Entfaltung. Sie entdecken u.a. in der Anordnung der Beamten (in den ersten vier Graden) den lurianischen Baum des Lebens wieder und führen das Wissen von den Essenern auf konkrete, mystische Ursprünge zurück. Sie standardisieren die Gepflogenheiten bei Öffnung und Schließung der Loge, die lose in jedem Grad als Einzelhinweise gestreut sind und damit nicht klar definiert waren. Zudem stellen sie fest, dass die Schritte bei einer Aufnahmehandlung z.B. im Lehrlingsgrad mit den Kabbala-Sephiroth übereinstimmen. Da die Aufnahmehandlungen bei fast allen Freimaurer-Systemen in vielen Punkten übereinstimmen und viele Texte der Strikten Observanz auch in anderen Freimaurer-Systemen vorkommen, finden sie heraus, dass viele Anleihen bei der Strikten Observanz genommen wurden, aber dies bleibt unverständlicherweise allseits unerwähnt, sei es z.B. beim Rite Français Moderne (RFM) oder beim Rite Écossais Rectifié (RER) oder ebenso bei der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLL FvD), die in ihrer Reform Mitte des 19. Jahrhunderts durch Christian von Nettelbladt (1779-1843) viele Bezüge aus der Strikten Observanz nimmt.
Ab 2018 führte eine bundesweite Gruppe von deutschen Freimaurern, die hauptsächlich im Rhein-Main-Gebiet wirkte, Nachforschungen zur Reform von Nettelbladt in der Großen Landesloge in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch. Sie stellten fest, dass sich Nettelbladt bis in die höchsten Grade der Strikten Observanz aufnehmen ließ, um an die Ritualtexte und Inhalte derselbigen zu kommen. Bis dahin konnte man sich diesen Schritt weder erklären, noch nachvollziehen, wie dies von den Oberen der Großen Landesloge damals so einfach toleriert werden konnte. Im Nachhinein stellt sich – auch aufgrund der noch heute existierenden Korrespondenz – heraus, dass dies eine Art geplanter Informationsgewinnung, Wettbewerbsbeobachtung und „Marktbeobachtung“ darstellt. Ein großer Vorteil ist es, den die französischen Brüder leider nicht hatten, dass die Texte zur Strikten Observanz originär aus Deutschland stammen und damit in Originalsprache vorliegen. Es bedarf damit keinerlei Übersetzungen und manche Unklarheiten, mit denen die französischen Schwestern und Brüder vor über 25 Jahren (1993) zu kämpfen hatten, traten gar nicht erst auf und ermöglichen auch klarere Rückschlüsse.
Nach und nach reaktivierten sie weitere Ordensprovinzen. Die französische Forschungsloge der Strikten Observanz „Les trois colonnes“ wurde auf die freimaurerischen Entwicklungen in Deutschland aufmerksam. Aus diesem Austausch heraus beginnt die bundesweite Gruppe von deutschen Freimaurern und nun auch Freimaurerinnen die deutschen Archive weiter zu durchstöbern und altes Quellenmaterial zusammenzutragen. Ein Teil der Gruppe wollte schließlich die erlangten Erkenntnisse allen Freimaurern zur Verfügung stellen und verfasste eine moderne Version der vorliegenden Rituale. Das nahm in Zusammenhang mit der Pandemie (2020-2022) so viel Fahrt auf, dass Instruktionen (aufgrund der Lockdowns) online gehalten und immer mehr Zusammenhänge zu anderen Freimaurer-Systemen offenbar wurden. Diese Gruppe beschließt in Zusammenarbeit mit der III. Ordensprovinz in Frankreich, die VIII. Ordensprovinz in Deutschland zu reetablieren.

Das führt schließlich am 08. Juli 2023 dazu, dass vom Provinzial-Großmeister der VIII. Ordensprovinz 1.) die Freimaurerloge „Zur weißen Taube“ sowie 2.) deren Schottische Meisterloge reaktiviert, 3.) der Großmeister der Schottischen Meister, 4.) der Großmeister der Tempelritter und Berufenen Ritter, sowie 5.) der Großkopte inthronisiert und damit 6.) die VIII. Ordensprovinz von Oberdeutschland in den historischen Räumlichkeiten in Wilhelmsbad rekonstituiert wurden. — Die Führung der VIII. Ordensprovinz legt sehr viel Wert auf das Inhaltliche sowie auf das Spirituelle im Gesamtsystem, was ein Auseinandersetzen mit den Ritualtexten und deren Interpretationen und Analysen zu einem unabdingbaren Grundgerüst des Systems macht, das jedem Mitglied auferlegt wird.
Bis zum sechsten Grad sind alle Ordensprovinzen deckungsgleich mit den Inhalten der Strikten Observanz des 18. Jahrhunderts. Trotz der Nähe der Systeme und Provinzen, aber auch der gleichen Intentionen, bleibt die VIII. Ordensprovinz von Oberdeutschland unabhängig und pflegt freundschaftliche Beziehungen zu allen Systemen und Provinzen der Templermaurerei und Freimaurerei.
