Johann August von Starck (1741-1816) war ein deutscher Schriftsteller, Freimaurer, lutherischer Theologe und Generalsuperintendent zu Königsberg in Preußen. In den berühmten Freimaurerakten[1] des Prinzen Christian von Hessen-Darmstadt (1763-1830) findet sich die Angabe, dass von Starck am 26. April 1761 in Göttingen in eine französische Feld- und Militärloge aufgenommen wurde, der ein gewisser Comte de Grave vorsaß. Er wurde am gleichen Tag vom Freimaurer-Lehrling zum Gesellen (II. Grad) befördert.

Der Göttinger Freimaurerloge mit dem Namen »l‘Esperance« gehörten wahrscheinlich auch der Marquis d‘Heroisie und Chevalier de Boison an. Einzelheiten über das Logenleben sind nicht bekannt, aber von Starck deutet indirekt in einem Schreiben an Diethelm Heinrich Lavater (1780-1827) vom 23. Oktober 1809 an[2], dass die Freimaurerloge bereits nach dem »Clermont-Rosa-System« gearbeitet haben soll. Das System ist nach Louis Graf von Clermont (1709-1770), einem französischen Freimaurer, der zwar seit 1743 den Titel eines Großmeisters in Frankreich trug, aber freimaurerisch inaktiv war, sowie nach dem aus dem Isenburgischen stammenden zwielichtigen Extheologen Philipp Samuel Rosa benannt. Das »Clermont-Rosa-System« war durch einen seit 1757 kriegsgefangenen französischen Offizier in Berlin angeregt worden und breitete sich noch während des Krieges in ganz Preußen aus.

1761 begann von Starck seine Studien in Theologie und Orientalistik an der Universität Göttingen. 1763 verschaffte ihm Anton Friedrich Büsching[3], den er in Göttingen kennengelernt hatte, einen Lehrerposten in St. Petersburg, obwohl er sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte. Büsching sollte eine langjährige persönliche Freundschaft mit von Starck verbinden, die sich hauptsächlich darin ausdrückte, dass Büsching als Konsistorialrat in Berlin von Starcks Karriere in Königsberg (von 1769 bis 1777) förderte. Büsching nahm u.a. auf von Starcks Entwicklung durch seine 1756 erschienene Schrift »Epitome theologiae e solis sacris literis concinnatae, et ab omnibus rebus et verbis scholasticis purgatae« nachhaltigen Einfluss. In der 34-seitigen Inauguraldissertation fasste Büsching die christliche Lehre so zusammen, wie sie allein aus der Heiligen Schrift zu erkennen sei. Darin ist der spätere zentrale publizistische Gedanke von Starcks von der »einfachen Lehre« des Christentums wiederzufinden. Denn laut seinem Verständnis sei sie durch theologisch-dogmatisierende Entwicklung verfälscht worden. Das sollte ihm in der Königsberger akademischen Gesellschaft nachhaltig Schwierigkeiten bereiten.[4]

Die Ansicht, dass das 1767 von v. Starck gegründete templerisch-freimaurerische Klerikale System, einem älteren System entlehnt sei, wird bereits von Zeitgenossen festgestellt. Es war John Christian Schubart (1734-1787), führendes Mitglied der Strikten Observanz, der bereits im gleichen Jahr darauf hinwies, dass das Klerikale System eine subtile Variante eines schon 1763 gegründeten in St. Petersburg ansässigen Hochgradsystems bildete, welches nach dem Offizier Peter Johann Ernst Graf von Melissinos (1726-1797) benannt war.

Das System hatte sieben Grade, dessen höchster die Bezeichnung Magnus Sacerdos Templariorum (zu Deutsch: Tempelritter-Hohepriester) trug. Damit hatte das Klerikale System zumindest einen Vorläufer. Von Starck lernte es in St. Petersburg kennen. Seine Freimaurerloge arbeitete nach dem sogenannten »Melissino-System« und von Starck schloss sich ihr an. Melissinos war griechischer Herkunft und Generalleutnant der Kaiserlichen russischen Armee. Sein Bruder war Ioannis Ivanovich Melissinos, ebenfalls Freimaurer und zudem eine Figur der russischen Aufklärung, Geheimrat, Direktor und Kurator der Moskauer Universität.

Von Starck war davon überzeugt, dass es zeitweise eine im Tempelritterorden aufbewahrte Wissenschaft[5] gab, aber die Mitglieder des 18. Jahrhunderts konnten »den tiefen Hintergrund« nicht mehr verstehen.[6] Adolf Widmann (1818-1878) ging der Frage nach, ob die Klerikalen Akten »einen ächt aus dem Mittelalter stammenden Kern« besäßen.[7] Der Forscher Ferdinand Runkel (1856-1946?) nahm an, dass von Starck die Klerikalen Akten aus St. Petersburg übernommen hatte und im Wesentlichen so beibehielt.[8] Dieser Auffassung folgte auch der Kirchenhistoriker Gustav Krüger, der zumindest den Überlieferungsweg über Melissinos für wahr annimmt und von Starck als »Systematiker«, aber nicht als »Erfinder« des Klerikalen Systems ansieht.[9]

Michael Vesper fasst es in seinem Werk aus dem Jahr 2012 folgendermaßen zusammen:

Allen diesen Erwägungen muß der letzte Beweisgrund fehlen, weil es unmöglich ist, die legendarischen Geschichtskonstruktionen mit einem Kausalitätschluß auf die reale Wirklichkeitsebene zurückzubinden, d.h. den oder die Fälscher als tatsächliche Personen und deren Motive als Ursache festzustellen. Da überhaupt nur Abschriften, meist noch aus zweiter oder dritter Hand, im Umlauf sind, sind auch den philologischen Bemühungen, eine Sukzession von Bearbeitungsvorgängen zu rekonstruieren, enge Grenzen gesetzt.[10]

Von Starck verließ im Frühjahr 1765 St. Petersburg und ging über England nach Paris, wo er von Oktober 1765 bis August 1766 verblieb. In Wismar, wo er von 1766 bis 1768 Konrektor des Gymnasiums war, hatte er sich im Februar 1767 zudem an der Gründung der Freimaurerloge »Zu den drei Löwen«, die nach dem System der Strikten Observanz arbeitete, beteiligt. Von Starck muss schon gegen Ende des Jahres 1766 Kontakt zu den Gründern der Freimaurerloge gehabt haben.[11]Er begann zielstrebig mit der Etablierung seines Systems. Der wesentlich ältere Führungsstab der Freimaurerloge ließ ihn gewähren oder akzeptierte den mit inhaltlichen Kenntnissen ausgestatteten jungen Theologen als Führungspersönlichkeit. Von Starck zielte wohl darauf ab, durch seine Umstrukturierung der Wismarer Freimaurerloge eine Vorreiterfunktion in der Templermaurerei einräumen zu lassen.

Die wirkliche Stellung von Starcks im »Klerikalen System« lässt sich u.a. daraus ableiten, dass das System vollkommen unabhängig von der Wismarer Freimaurerloge weiterbestand und er es problemlos nach Königsberg überführen konnte. Dennoch versteckte sich von Starck hinter der Behauptung, von einer unbekannten Freimaurerloge außerhalb Deutschlands instruiert und bevollmächtigt worden zu sein, mit der er stets in Verbindung stehen würde.[12] Im Februar 1768 traf eine Delegation der Strikten Observanz in Wismar ein. Von Starck war der einzige Verhandlungspartner. Er konnte aber seine Glaubwürdigkeit nicht mit seiner geheimwissenschaftlichen Kompetenz und der Ermächtigung seiner Logenmitglieder gewinnen, sondern die Delegation akzeptierte hauptsächlich nur sein Angebot, sich als Verbindungsmann zu der unbekannten Freimaurerloge in St. Petersburg zur Verfügung zu stellen.

Von Starck war zwar der Begründer des Klerikalen Systems, aber er trat nie als sein formelles Oberhaupt auf, sondern der mecklenburgische Gutsherr Ernst Werner von Raven (1727-1787) hatte diese Position von 1767 bis 1778 inne. Von Starck nahm darum nie an den Konventen der Strikten Observanz (1772-1782) teil, sondern diese Rolle kam Ernst von Raven zu; dessen persönliche Reputation und Ansehen auch die seines Systems förderte. Als 1778 von Starck angeblich die Auflösung des Klerikalen Systems betrieb, hielt von Raven hingegen weiter daran fest.

Von Starck veröffentlichte zahlreiche Schriften über die Freimaurerei, z.B. um 1770 eine besonders bemerkenswerte »Apologie des Ordens der Freymaurer«. 1775 veröffentlichte er sein Werk »Hephästion«, was ihn in Königsberg weiter in Bedrängnis brachte; denn von Starck sah die »mosaische Religion« im Wesentlichen als das Resultat der Beeinflussung durch die höher entwickelte Geisteswelt Ägyptens. Diese Erkenntnis trug er bereits im Oktober 1773 als Disputation vor, was zur erfolgreichen Promotion zum Doktor der Theologie führte. Im März 1774 kam die zweite notwendige Disputation hinzu. Bei der zweiten Disputation handelte sich Starck in Königsberg das Ansehen eines Deisten und eines Kritikers der Offenbarungssubstanz der heiligen Texte ein.[13]

Von Starck lehnte z.B. die ökonomischen Pläne, wie sie in der Strikten Observanz eruiert wurden, für sein System ab. Er sah es als niederes Interesse an und wollte sein geistiges System nicht mit solch einem monetären Anliegen in Verbindung gebracht sehen. Das ist u.a. ein Hinweis auf seine hehren Absichten. Die Unabhängigkeit von der Finanzhierarchie des Systems des Reichsfreiherrn von Hund, sowie auch die Abwehr von finanziellen Belastungen für sein System konnte er in den Verhandlungen mit dem Reichsfreiherrn durchsetzen. Auch das auf Eckleff basierende System sah Leibrenten für freimaurerische Hochbeamte vor.[14]

Auf was für instabilen Beinen die Strikte Observanz und ihre Templermaurerei-Legende zu stehen schien, zeigt sich schließlich an den Verhandlungen mit von Starck. Beide hofften, dass das andere System die Legitimität des eigenen stärken würde. Das wird z.B. an der Beitrittsurkunde deutlich, die die Kleriker an den Reichsfreiherrn von Hund nach Gut Unwürde sandten. Sie erkannten darin einerseits die Strikte Observanz selbst und die Führungsposition des Reichsfreiherrn von Hund an und versicherten des Weiteren, sich an der Wiederherstellung der Wissenschaft zu beteiligen[15], andererseits garantierte die Gegenseite die vermeintlichen alten Rechte der Kleriker anzuerkennen und sie übergeordnet als VII. Grad in das System der Strikten Observanz zu integrieren.

Als Ergebnis wurde eine Fusionsakte zwischen dem „Klerikat“ als der „geistlichen Branche“ und den „Rittern“ der „Strikten Observanz“, die beide zusammen die Fortsetzung des Tempelherrenordens bilden sollten, erarbeitet, die allerdings erst im Jahre 1772 in Kraft gesetzt werden konnte, weil es hierzu der Zustimmung eines Ordenskonvents bedurfte und zwischenzeitlich die Beziehungen wieder abgebrochen worden waren.[16]

Bereits 1775 begann von Starck zunehmend an der Templermaurerei, wie sie die Strikte Observanz verstand, zu zweifeln und am 09. September 1777 distanzierte er sich definitiv von ihr. In seinem Schreiben vom 04. April 1778 an die Prinzen von Hessen-Darmstadt und Mecklenburg-Strelitz erklärte er seine zehnjährige Verbindung zum System des Reichsfreiherrn von Hund als Torheit eines naiven Gelehrten. In einem Brief vom 03. Dezember 1779 an Karl Friedrich Bahrdt (1740-1792) versicherte er, dass er sich aus der organisierten Freimaurerei zurückgezogen habe. Es gibt aber Indizien, dass sich das mit seiner Übersiedlung nach Darmstadt wieder geändert hatte.

Georg Wilhelm Petersen (1744-1816) hat am 27. Februar 1791 an Friedrich Nicolai (1733-1811) eine Zusammenfassung der Tätigkeiten von Starcks skizziert:

Starck ist übrigens im Felde der Mysterien noch immer tätig, hat vor kurzem mit dem hier gewesen[en] königlich Dänischen Gesandten, Herrn von Wächter einige lange Unterredungen gehabt, empfängt öfters Besuche auswärtiger katholischer Geistlichen, empfängt eine Menge von Briefen, vornehmlich von seinem Herzensfreund, dem Herrn von Grollmann aus Gießen, läßt allerlei Werkzeuge kommen, dessen sich sonst die Goldmache zu bedienen pflegen und anderes mehr.[17]

Das wird auch in einem Brief von 1809 an Diethelm Heinrich Lavater deutlich, indem er das Wiederaufleben seiner freimaurerischen Aktivitäten indirekt andeutet.[18]

Seine rechte Hand war dabei der angehende Theologe Johann Christoph Schmidt (1759-1836), der bereits seit dem Jahr der Ankunft der Familie von Starck in deren Haushalt lebte und als Privatsekretär fungierte. Ausdruck ihrer Verbundenheit war z.B., dass von Starck Schmidt einen Platz im Familiengrab schenkte, weil – wie von Starck selbst schrieb: »da er doch so viele Jahre mit uns gelebt hat.«[19]


[1] vgl. StAD, D 4, Konv. 582, Fasz. 3, Fol. 56/57.
[2] vgl. Werner G. Zimmermann (Hrsg.). Von der alten zur neuen Freimaurerei. Briefwechsel und Logenreden von Diethelm Lavater nach 1800. Aus dem Archiv der Züricher Loge Modestia cum Libertate. Zürich 1994. Nr. 28. S. 43.
[3] Anton Friedrich Büsching (1724-1793), deutscher evangelischer Theologe und Geograph.
[4] vgl. Michael Vesper. Aufklärung – Esoterik – Reaktion. Johann August Starck (1741-1816). Geistlicher, Gelehrter und Geheimbündler zur Zeit der deutschen Spätaufklärung. Verlag Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung. Darmstadt 2012. S. 54ff.
[5] Der Begriff »Wissenschaft« wird im zuvor zitierten »Discours« (1737) von Andrew Michael Ramsay ebenfalls erwähnt.
[6] vgl. Hermann Höfig. Zehn Hymnen aus den clerikalen Akten. In: Berliner Zirkelkorrespondenz der Großen Landesloge, 1 (1872). S. 344-354. S.V. Anm. 2.
[7] vgl. Theodor Merzdorf. Ueber die klerikalen Akten. In: Zirkelcorrespondenz der Großen Landesloge (BZC) 6 (1877). S. 173-183.
[8] vgl. Ferdinand Runkel. Geschichte der Freimaurerei. 3 Bände. Berlin 1931-1932. Band. 3. S. 58 und 60.
[9] vgl. Gustav Krüger. Johann August Starck. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 6. Herausgegeben von Kurt Galling. Tübingen 1962. Sp. 355.
[10] vgl. Michael Vesper. Aufklärung – Esoterik – Reaktion. Johann August Starck (1741-1816). Geistlicher, Gelehrter und Geheimbündler zur Zeit der deutschen Spätaufklärung. Verlag Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung. Darmstadt 2012. S. 307.
[11] vgl. Christian Carl Friedrich von Nettelbladt. Geschichte Freimaurerischer Systeme in England, Frankreich und Deutschland. Ernst Mittler & Sohn Verlag. Berlin 1879. S. 292 u. 296.
[12] vgl. StAD, D 4, Konv. 582, Fasz. 3, Fol. 65/66.
[13] vgl. Paul Konschel. Hamanns Gegner, der Kryptokatholik D. Johann August Starck. Königsberg 1912. (Schriften der Synodalkommission für ostpreuß. Kirchengeschichte Heft 13). S. 22-43.
[14] vgl. Ritualakten enthaltend die Frage- und Logenbücher welche Br. Baumann von dem Br. v. Eckleff erhalten und im Jahre 1766 dem Br. v. Zinnendorf übergeben hat. Aus dem Schwedischen. Band III […]. Köln 2008. S. 113.
[15] vgl. Unterlagen der GLL FvD (um 1826). Fragebuch IX. Zweiter Artikel. Frage 56. (1910 außer Kraft gesetzt.)
[16] vgl. Michael Vesper. Aufklärung – Esoterik – Reaktion. Johann August Starck (1741-1816). Geistlicher, Gelehrter und Geheimbündler zur Zeit der deutschen Spätaufklärung. Verlag Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung. Darmstadt 2012. S. 51.
[17] vgl. Ferdinand Runkel. Geschichte der Freimaurerei. 3 Bände. Berlin 1931-1932. Band 3. S. 52.
[18] Starck – D. Lavater, 23.10.1809 (Zimmermann, S. 142, Nr. 28); vgl. ebd. S. 155, Nr. 34 (26.12.1809). Zimmermann, S. 145.
[19] vgl. Freimaurermuseum Bayreuth, Pro Memoria, Nr. 3.
Johann August von Starck (1741-1816)

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