Cagliostros persönliches Siegel
1.Du sollst einen herzlosen Menschen zurückweisen, der nicht an das Höchste Wesen oder an die Unsterblichkeit der Seele glaubt; er würde den Tempel und seine Umgebung entweihen.
2.Du sollst den annehmen, der diese zwei großen Wahrheiten in seinem Herzen trägt. Was auch immer sein Glaube und seine Religion sein mögen, sie sind kein Hindernis für seine Einweihung.
3.Wer die Mysterien der Hohen Ägyptischen Freimaurerei erfahren möchte, soll sich zunächst als Freimaurer in eine Loge des herkömmlichen Ritus aufnehmen lassen und durch Bescheinigung seiner Meister nachweisen, dass er die Verleihung der Grade: Lehrling, Geselle, Meister und Erwählter Meister [Antients-Tradition] erlangt hat.
4.Sollten zwei Anwärter gleichzeitig vorstellig werden, und einer besitzt einen höheren Grad als die vier oben Genannten, so ist er zuerst aufzunehmen. Lasst diesen Vorzug die Belohnung für das Studium sein, dem er sich gewidmet hat, in der Hoffnung, seinen Geist verbessern zu wollen.
5.Ein Freimaurer des herkömmlichen Ritus muss von ehrlicher Gesinnung sein, einen kultivierten Geist besitzen und eine nachgewiesene Integrität aufweisen, denn ein Mensch, der diese wesentlichen Eigenschaften nicht aufzeigen kann, würde niemals Teil des Ägyptischen Ritus sein können.
6.Umsonst erwartet man von einer jungen Pflanze Früchte; deshalb darf als Lehrling nur derjenige zulassen werden, der das 25. Lebensjahr vollendet hat; frühreife Tugenden mögen ein paar Jahre erlösen, aber die Reife, die mit dem Alter einhergeht, kann niemals die des Geistes kompensieren.
7.Wer das Glück hat, eingeweiht zu werden, muss seiner Verpflichtung vor Gott und seinen Meistern nachkommen, unser unantastbares Geheimnis über unsere Mysterien zu bewahren, über alles zu schweigen, was in unseren Tempeln oder in ihrer Umgebung geschehen wird sowie die Regeln des Ordens strikt einhalten. Wenn er seine Versprechen brechen sollte, möge er verachtet werden; möge er in Schande vertrieben werden und möge ihn der Große Gott strafen.
8.Die Erscheinungen der Gottheit sind erhaben; die Ägyptische Freimaurerei respektiert und schätzt sie über alles; sprecht darum niemals gegen die Gesetze des Landes, in dem ihr lebt, oder gegen die dort vorherrschende Religion.
9.Nächstenliebe ist die zweite Pflicht des Menschen[1], möge sie jeder Eingeweihte in jeder Hinsicht erfüllen. Möge er überall und jederzeit gerecht, gütig und bereit sein, die Armen zu trösten.
10.Liebt meine Kinder; liebt einander, liebt mit Zärtlichkeit. Helft und tröstet jeden der deinigen, die Not oder Bedrängnis erleiden. Wehe dem Bruder, der seinem Bruder die Hilfe verweigert, der Herr wird ihm seinen Schutz entziehen.[2]
11.In der ursprünglichen Reinheit der Freimaurerei gab es nur drei Grade. Darum sollst du auch nur drei anerkennen und verleihen: Lehrling, Geselle und Meister.
12.Der Lehrling soll erst nach drei Jahren des Studiums der Ergebenheit als Geselle aufgenommen werden. Der Geselle wiederum erlangt den Meistergrad erst nach fünfjähriger Tätigkeit.
13.Lehrlinge, ihr sollt den Gesellen gehorsam sein; sie werden eure Arbeit prüfen. Und ihr, Gesellen, werdet die Befehle der Meister annehmen und ausführen. Möge Eifersucht niemals einen Weg in Eure Herzen finden; zwischen euch darf nur eine brüderliche Rivalität herrschen.
14.Meister, euch soll die Leitung und Kontrolle der Arbeit gehören; die Regierung und Verwaltung der Loge; vertretet eure Position und Funktion würdig. Ordnet nichts an, was nicht der Herrlichkeit meiner Kinder und dem Dienst an der übrigen Menschheit förderlich ist.
15.Die Lehrlinge und die Gesellen sollen zwei getrennte Werkstätten haben, eine links und die andere rechts vom Tempel. Die Meister versammeln sich in der Mittleren Kammer. Mögen die Arbeiter niederer Grade darauf achten, keine unvorsichtigen Blicke auf die Werke der höheren Grade zu erhaschen. Mögen sie die katastrophalen Folgen rücksichtsloser Neugier fürchten.
16.Die beiden Werkstätten werden von einem Meister geleitet, der zu diesem Zweck von den Meistern der Mittleren Kammer bestellt wird. Jeder von ihnen wählt einen Redner, einen Sekretär und einen Inspektor als Zeremonienmeister, die diese Ämter für die Dauer eines Jahres und gemäß den ihnen erteilten Weisungen ausüben.
17.Bei jeder Wahl, Beförderung oder Tätigkeit, welcher Art auch immer, die in die Zuständigkeit einer der Werkstätten fällt, kann jeder Arbeiter seine Wünsche und Meinung mit Bescheidenheit, aber mit Freiheit zum Ausdruck bringen, und möge die Wahlfreiheit stets durch das Gesetz Kraft haben. Möge der Geist der Zwietracht für immer von meinen Kindern fernbleiben. Wenn es jedoch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen kommt, können die Entscheidungen der Lehrlinge von den Gesellen überprüft und erforderlichenfalls geändert werden, und das Urteil der Letzteren kann vor die Mittlere Kammer gebracht werden, deren Meister in letzter Instanz (ohne Berufung) unter Vorlage zu entscheiden haben, nachdem sie die Vorsitzenden der Werkstätten angehört haben.
18.Die Gesellen entscheiden über die Auswahl und die Aufnahme der Lehrlinge. Die Meister wählen die Gesellen aus dem Kreis der Lehrlinge und deren Nachfolger aus dem Kreis die Gesellen aus.
19.Unter den Meistern soll vollkommene Gleichheit herrschen, und die Ämter, mit denen einige von ihnen ausgestattet sind, sollen weniger Unterscheidungen als vielmehr Verantwortlichkeiten darstellen. Sie regeln alles durch Mehrheitsbeschluss. Bevor sie ihre Entscheidung treffen, mögen sie darauf achten, die Hilfe des Großen Gottes anzurufen, und sie sollen immer einmütig sein.
20.Das umfassendste Vertrauen und die innigste Einheit soll bei den Meistern in der Mittleren Kammer vorherrschen. Mögen sie untereinander eine vollkommene Bruderschaft begründen. Bevor sie in den interessantesten Umständen ihres Lebens ein Unternehmen planen, mögen sie die Ansichten und den Rat der Kammer einholen, und mögen die Interessen eines ihrer Mitglieder immer und von diesem Moment an zum Interesse aller werden.
21.Jeder Meister hat nach drei Jahren als Mitglied der Mittleren Kammer und nach Einholung ihrer Zustimmung das Recht, zwölf Meister, vierundzwanzig Gesellen und zweiundsiebzig Lehrlinge aufzunehmen.
22.Die Meister versammeln sich einmal alle drei Wochen; die Gesellen einmal alle fünf Wochen und die Lehrlinge einmal alle sieben Wochen.
23.Die Zahl der Lehrlinge darf nicht 72 übersteigen, die der Gesellen wird auf 24 festgesetzt und die Mittlere Kammer darf niemals aus mehr als 12 Meistern bestehen. Wenn diese Regel nicht genauestens eingehalten wird, sage ich euch, werden Verwirrung, Unordnung und Nachlässigkeit ihren Weg in Eure Mitte finden.
24.In der Loge sollen nur fünf Großbeamte anerkannt sein, die immer dem Meistergrad angehören, nämlich einen Ehrwürdigen Meister, einen Redner, einen Sekretär, einen Hüter der Siegel, des Archivs und der Finanzen, einen Großinspektor sowie den Zeremonienmeister und den Schrecklichen Bruder.[3]
25.Die Amtsträger werden auf Lebenszeit ernannt und wählen einen Stellvertreter auf Anraten der Mittleren Kammer und aus ihrer Mitte, der im Falle ihrer Abwesenheit und im Falle ihres Wechsels sie ersetzt und von Rechts wegen Nachfolger bei Tod oder Pensionierung wird.
26.Die Stellvertreter der Großbeamten dürfen keine anderen Ämter bekleiden und haben, wenn sie als Stellvertreter fungieren, die gleichen Rechte und Vorrechte wie die Hauptamtsträger.
27.Der Ehrwürdige Meister soll der Mittleren Kammer vorsitzen, aber er wird hier nur als Einer unter Gleichen angesehen, und sein einziges Vorrecht besteht darin, zwei statt einer Stimme zu haben, um Meinungsverschiedenheiten zu klären oder Petitionen und deren Folgen voranzutreiben.
28.An der Spitze der Großbeamten und der Meister soll er der Loge vorstehen, wenn sie sich zu Festarbeiten oder Aufnahmen im Tempel treffen. Er führt stets die Initiationsrituale durch und ratifiziert unter seinem Siegel die Urkunden, die den Initiierten von der Mittleren Kammer ausgestellt werden.
29.Der Redner soll bei jedem Initiationsritual und bei jeder Generalversammlung eine Rede halten. Er möge seinen Brüdern immer mehr die Notwendigkeit einschärfen, sich der Gottheit anzunähern, und er möge niemals etwas sagen, das nicht einfach zu verstehen ist und nicht im Einklang mit den Werken der Loge steht.
30.Der Hüter der Siegel, Archive und Finanzen soll der Treuhänder der Siegel sein, die ich euch verliehen habe. Er sorgt für Ordnung in den Archiven und verwahrt den Schlüssel und verwaltet die Kasse der Loge.
31.Der Sekretär hat alle Einladungen und alle Beratungen der Mittleren Kammer zu protokollieren. Er führt den Schriftverkehr und er beruft die Meister ein und lädt sie zu den Generalversammlungen ein.
32.Der Großinspektor, Zeremonienmeister und Schreckliche Bruder sind für die allgemeine Disziplin des Tempels und seiner Werkstätten verantwortlich. Ersterer überwacht die Sicherheit der Loge und ist für die Inspektionen der Gebäude verantwortlich. Er soll neue Mitglieder vorbereiten sowie Kranke, Fremde und Brüder besuchen.
33.Die Katechismen, die Reglemente und andere Anleitungen werden in der Mittleren Kammer hinterlegt oder mit einem Dreifachschloss verriegelt. Die Meister dürfen sie weder aus ihrer Obhut geben noch sie aus der Loge entfernen oder sie für ihren eigenen Gebrauch transkribieren. Es ist den Gesellen und Lehrlingen auch untersagt, schriftlich festzuhalten, was ihnen nach dem Vorlesen in Erinnerung geblieben ist.
34.Der Ehrwürdige Meister, wenn er es für klug und ratsam hält, soll mit der Unterstützung der beiden Meister der Werkstätten in der Lage sein, den Katechismus der Lehrlinge den Freimaurern des herkömmlichen Ritus vorzulesen, die, da sie von korrektem und reinem Herzen sind, es wert sind, die Wahrheit zu erfahren. Jene aber die an langjährigen Irrtümern festhalten, können ihn ebenfalls erfahren, damit sie sich entschließen können, [unseren Katechismus] doch noch zu akzeptieren.
35.Alle Grade werden in der vorgegebenen Form ohne etwas wegzulassen oder hinzuzufügen verliehen. Es soll große Sorgfalt darauf verwendet werden, den eingeschlagenen Weg nicht zu verlassen, wie es unsere Väter getan haben, um sich nicht zu verlieren.
36.Jedes Jahr sollen zwei Generalversammlungen stattfinden, um den Tag der Stiftung der Ägyptischen Mutterloge sowie das Fest des Heiligen Johannes des Evangelisten zu feiern. Die erste Generalversammlung findet am 3. Tag des 9. Monats statt[4]; die zweite am 27. Tag des 12. Monats. Beide Feierlichkeiten sollen sich durch Akte der Nächstenliebe kennzeichnen.
37.Möge die Loge des herkömmlichen Ritus, die unter dem Titel »La Sagesse« gegründet werden soll, auf der gleichen Grundlage weiterbestehen, wie jene vor uns. Möge sie die gleichen Beamten und die gleichen Grade, ihre Verbindungen und ihre Korrespondenz beibehalten, und möge sie bei der Aufnahme von Lehrlingen alles das vermeiden, was keinen symbolischen oder moralischen Wert hat oder die Freimaurerei lächerlich machen könnte.
38.Mögen sich der Ehrwürdige Meister und die Amtsträger derselben [herkömmlichen] Loge durch den Ehrwürdigen Meister der Mutterloge des Ägyptischen Ritus einhellig inspizieren lassen; mögen aber Eintracht und Liebe all ihre Handlungen leiten, um dem Gemeinwohl zu dienen und um eine vollkommene Harmonie zu erhalten.
39.Behaltet stets den ruhmreichen Titel der Mutterloge im Auge, den ich euch verliehen habe, und würdigt die damit einhergehenden Rechte. Es sind eure Beispiele, die die Freimaurer anziehen und verändern müssen oder die die Logen stets unterweisen sollen und die euch [dadurch] als ihre Partner erkennbar machen werden.
40.Ihr sollt bei jeder eurer Generalversammlungen die Statuten und Reglemente verlesen lassen, die ich euch gegeben habe.

[1] vgl. Matthäus 22, 37-40 (Luther-Bibel).
[2] vgl. Barberi (S. 157-158): L’Inquisito, che tutto é stato efetto di una special protezione di Dio verso di lui, avendolo voluto graziare in tal guisa della visione beatificante, ad effetto, che potesse meglio riuscire nel suo proposito di radicare il Sistema Egiziano. 
(Zu Deutsch:) Der Inquisition versicherte er [Cagliostro], dass alles die Wirkung eines besonderen Schutzes Gottes für ihn sei, begründet auf einer seligmachenden Vision, die sein Vorhaben stark begünstigte, nämlich das Ägyptische System zu etablieren.
[3] Es werden insgesamt sieben Beamte aufgezählt, wobei der Zeremonienmeister und der Schreckliche Bruder wohl keine Großbeamten sind.
[4] Der 3. September ist im Heiligenkalender der Katholischen Kirche u.a. der Namenstag der Heiligen Phoebe (Phöbe). Sie ist die erste namentlich bekannte Diakonissin. Sie hatte im Hafen von Korinth eine Art Sozialdienst eingerichtet, der sich vor allem um in Not geratene Reisende und Fremde kümmerte (um Nichtchristen genauso wie um Christen). Sie unterstützte auch den Apostel Paulus bei seiner Missionsarbeit. Bei ihm stand sie in so hohem Ansehen, dass er ihr eine seiner wichtigsten Schriften - den »Römerbrief« - anvertraute, damit sie ihn der römischen Christengemeinde überbringen konnte. 
Frauen haben 300 Jahre lang (angefangen mit Maria Magdalena) die Entwicklung des Christentums entscheidend mitgestaltet. Diakonissinnen gab es, wie auch außerkirchliche Quellen bestätigen, bis ins 4. Jahrhundert hinein. Erst als das Christentum zur römischen Staatsreligion wurde und sich allmählich an die patriarchalische antike Gesellschaftsordnung anpasste, büßte die Frau auch im christlichen Gemeindeleben ihre ursprüngliche Anerkennung als gleichwertiges Gemeindemitglied ein.
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