Der heilige Bernhard von Clairvaux (um 1090 auf Burg Fontaine-lès-Dijon bei Dijon; 20. August 1153 in Clairvaux bei Troyes), latinisiert Sanctus Bernardus, war ein mittelalterlicher Abt, Kreuzzugsprediger, Kirchenlehrer und frühscholastischer Mystiker. Er gilt als einer der bedeutendsten Mönche des Zisterzienserordens, für dessen Ausbreitung über ganz Europa er verantwortlich war.
Es bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Hugo de Payns – Gründungsmitglied und dem ersten Großmeister des Tempelritter-Ordens – zu Bernhard von Clairvaux, einem für die Tempelritter-Geschichte sehr wichtigen Zisterzienser-Mönch und geistiger Vater einiger Teile der esoterischen Lehre. Bernhard von Clairvaux‘ Onkel – Andreas von Montbard – war ebenfalls Gründungsmitglied und der fünfte Großmeister des Tempelritter-Ordens. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Hugo de Payns oder Gottfried von Saint-Omer mit solch einer Idee aus Europa gekommen sind. Dass es sich beim Konzept der Kriegermönche um eine Anleihe aus einer anderen Kultur handeln muss, zeigt die Schrift welche von Bernhard von Clairvaux verfasst worden ist namens »Lob der neuen Ritterschaft«.[1] Dabei handelt es sich um ein Rechtfertigungsschreiben für die neue Lebensweise der Tempelritter. König oder Patriarch übernahm die Idee vermutlich aus den Wechselbeziehungen, die es in Jerusalem mit der islamischen Kultur gab.[2] Zum ersten Mal durften Mönche an Kreuzzügen militärisch mitwirken. Diese Ambivalenz, d.h. diese gleichwertige Widersprüchlichkeit, wird den Charakter des Ordens bestimmen und seinen Mitgliedern helfen, manch religiöses und politisches Hindernis auf ihren diplomatischen Missionen zu bewältigen. Bereits in den Anfängen spiegelt sich das in den beiden bekanntesten Insignien des Ordens wider.
Neben dem allgemeinen Siegel des Tempelritter-Ordens gab es auch das Siegel der Großmeister.[3] Es zeigt eine Kuppel über einem auf fünf sichtbaren Säulen ruhenden Rundbau. Allerdings ist man sich nicht einig, ob damit die Al-Aqsa-Moschee oder die Grabeskirche gemeint ist. Den Tempelrittern und den mittelalterlichen Pilgern des Abendlandes schien es zwar klar zu sein, dass es sich bei der Al-Aqsa-Moschee nicht um den Salomonischen Tempel handelte, sondern nur um einen Nachbau. Bernhard von Clairvaux schreibt im Vorwort seiner Schrift »Lob der neuen Ritterschaft«: »In Jerusalem aber steht ein Tempel, in dem sie [die Tempelritter] beisammen wohnen, zwar jenem ehrwürdigen und berühmten des Salomo ungleich in der Bauart, aber nicht geringer an Herrlichkeit.«[4] Weiter schreibt er, dass sich dieser Tempel »wegen der mannigfaltigen Tugenden und heiligen Taten«[5] der dort wohnenden Tempelritter besonders als »verehrungswürdig« auszeichne.
Um den Einfluss zu verdeutlichen, den Bernhard von Clairvaux auf die Tempelritter hatte, müssen noch ein paar Details bekannt gegeben werden. Erst zögerlich aber dann mit Überzeugung sprach er sich für eine geistliche Ritterschaft aus, die er bei ihnen verwirklicht sehen wollte. In seinem »Lob der neuen Ritterschaft« heißt es:
»In der Tat sieht man, wie sie [die Tempelritter] auf eine wunderbare und einzigartige Weise sanfter sind als die Lämmer und wilder als die Löwen, so daß ich im Zweifel wäre, was ich sie eher nennen sollte, nämlich Mönche oder Ritter, wenn ich sie nicht schon wohl recht zutreffend beides genannt hätte. Denn ihnen fehlt, wie man sieht, keines von beiden, weder die Sanftmut des Mönches noch die Tapferkeit des Kriegers. Was soll man darüber sagen als: „Der Herr hat es vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder?“ (Ps 117,23) Solche hat sich Gott erwählt, und er sammelte sie als Diener von den Grenzen der Erde aus den Stärksten Israels, auf daß sie das Ruhelager des wahren Salomo [Jesus Christus], das Grab [Christi], bewachen und treu beschützen sollen, alle mit dem Schwert vertraut, geschult für den Kampf.«[6]
Bernhard von Clairvaux – ein Mann des 11. und 12. Jahrhunderts – stand in einer sehr alten Tradition, die im 5. Jahrhundert in Kleinasien ihren Anfang nahm: nämlich mit dem Konzil von Ephesus. Auf dem Konzil im Jahre 431 n. Chr. wurde erklärt, dass Maria Jesus geboren habe, der zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott war, und nicht nur der Sohn Gottes. Sie wurde von der Menschen- zur Gottesgebärerin erhoben.
Das Konzil von Ephesus begünstigte die Umdeutung vorhandener Muttergottheiten zur christlichen Gottesmutter im Zuge der christlichen Missionierung. In der germanischen und keltischen Welt galt Ana, als Mutter der germanischen, irischen und keltischen Götter. Sie war eine Fruchtbarkeitsgöttin der keltischen Mythologie Irlands und eine vorchristliche irische Göttin. Die gleiche Göttin wurde besonders in der Bretagne mit der Heiligen Anna assoziiert. Damit ist die in den Apokryphen – den verbotenen Evangelien – als Mutter von Maria bzw. als Großmutter von Jesus gemeint. Im Jahr 1142 ließ Avda, die Witwe des Königs Balduin I. (1058-1118), eine Kirche in Jerusalem zu Ehren der Heiligen Anna errichten, dort wo man die Wohnung der Großeltern Jesu Christi vermutete. Die Stellung Marias, der Mutter Jesu, wurde mit dem Konzil von Ephesus bedeutend gestärkt. Es begünstigte die Umdeutung vorhandener Muttergottheiten zur christlichen Gottesmutter. Jedoch begünstigte es auch eine sehr weite Vermischung mit anderen weiblichen Götzen, die vielleicht ursprünglich gar nicht bedacht worden war.
In Ephesus befand sich seit der Antike das Heiligtum der Artemis. Der Kult war tief im kollektiven Bewusstsein der Menschen verwurzelt. Die christlichen Missionare der Frühkirche konnten sich dem weit verbreiteten Glauben an Fruchtbarkeitsgöttinnen und Muttergottheiten nicht erwehren.
Bernhard war es auch, der den Tempelrittern empfahl, sich in ihren Dienst zu stellen. Denn er hatte Marienvisionen und so kam es schließlich, dass die gotischen Kathedralen, die im Zusammenhang mit dem Orden standen, »Notre Dame«, d.h. »Unserer (lieben) Dame« oder »Unserer (lieben) Herrin« geweiht wurden.
»War der Tempel Salomos das Mutterhaus des Ordens, so war Unsere Liebe Frau seine Schutzpatronin, und man muß keineswegs Hellseher sein, um in dieser Wahl den Einfluß des hl. Bernhard wiederzufinden. Die Ordensregel wurde ihr zu Ehren aufgestellt, und die Hälfte der Gebete, zu denen die Brüder verpflichtet waren, wurde an sie gerichtet. Eine der ersten und wichtigsten Festungsstätte, die der Obhut der Templer anvertraut wurden, war Tortosa in der Grafschaft Tripolis; diese Stadt war berühmt durch ihre Marienwallfahrt, und die christliche Überlieferung will, daß der hl. Petrus auf seiner Reise nach Antiochia in Tortosa Halt machte, um das älteste zu Ehren der Mutter Christi errichtete Heiligtum zu weihen.«.[7]
So führt es zumindest der Autor Alain Demurger in seinem Werk »Die Templer – Aufstieg und Untergang 1120-1314« aus. Alle Kirchen und Gotteshäuser, die die Zisterzienser erbauten, waren ebenfalls »Unserer (lieben) Dame« oder »Unserer (lieben) Herrin« geweiht. Man kann Bernhards Spuren deutlich erkennen.
Die christliche Gottesmutter wurde von den Mystikern und Gelehrten als »Sophia« bezeichnet. »Sophia« ist Griechisch und bedeutet »Weisheit«. Bereits im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. wurde der weibliche Aspekt der Gottheit verehrt und mit dem Titel »Sophia« gekrönt. Als »Heilige Jungfrau« oder als »Jungfrau Sophia« deutete man sie in der christlichen Mystik als die von niederen Begierden und Neigungen gereinigte Weltseele.[8] In diesem Zusammenhang ist auch die »Hagia Sophia« zu nennen, diese monumentale Kirche war der »Heiligen Weisheit« geweiht.[9] Unter dem Sammelbegriff »Sophia« war nicht nur Maria die Mutter Jesu Christi[10], sondern seit jenem Konzil konnte alles Göttlich-Weibliche oder alles Weibliche hineininterpretiert werden.
Eine dieser weiblichen Charaktere war z.B. Maria Magdalena[11], die in der Frühkirche als »Apostelgleiche«, d.h. den Aposteln gleichgestellt (lat. »apostola apostolorum«) verehrt wurde; sie galt als die irdische »Sophia« im Gegensatz zur himmlischen oder heiligen »Weisheit«. Im Philippus-Evangelium z.B. ist »Sophia« die »Gefährtin« Jesu Christi; sein göttlich-weibliches Gegenstück. Während Maria Magdalena andererseits als »Gefährtin« Jesu Christi auf Erden zu verstehen sei. Das Philippus-Evangelium wie auch andere verbotene Evangelien übertrugen die Rechtsfolge an Maria Magdalena. Das Philippus-Evangelium ist vermutlich ein Werk des späten 3. Jahrhundert n. Chr. welches keinen Eingang in die Bibel fand.
Maria Magdalena nahm eine immer stärker werdende Stellung in der Frühkirche ein, so dass sich im 6. Jahrhundert der damalige Papst Gregor I. (um 591 n. Chr.) wohl genötigt fühlte, etwas dagegen zu unternehmen. Das Weitere ist bekannt: sie wurde zur Sünderin und schließlich zur Prostituierten erklärt, obwohl nichts in den Evangelien dafür spricht. Die katholische Kirche feiert verblüffenderweise das Fest der hl. Maria Magdalena am 22. Juli.[12] Das wirkt seltsam wenn man bedenkt, dass sie eine Prostituierte gewesen sein soll.
Das sind Überbleibsel der Verehrung der »Apostelgleichen« in der Katholischen Kirche. Viele Kirchen und religiöse Bauten sind ihr geweiht. Im »Chinon-Pergament«, welches einen Verhörzyklus des Jahres 1308 enthält, sagt Hugo de Perraud – einer der fünf vernommenen und inhaftierten Würdenträger des Tempelritter-Ordens – aus, dass er am Festtag der hl. Maria Magdalena (1262) in den Orden aufgenommen worden sei. Das Pergament ist nach der Burg Chinon an der Loire in der Nähe von Tours benannt.
Die »Weiblichkeit Gottes« wie zugleich die Rolle der Frau in der Gesellschaft wurden in den darauffolgenden Jahrhunderten durch die Frühkirche aus dem Bewusstsein der Gläubigen getilgt und bewusst negativ besetzt. Trotz einer Hildegard von Bingen (1098-1179), einer Zeitgenossin von Bernhard von Clairvaux, blieb die Kirche gegenüber der Rolle der Frau im Allgemeinen sehr ablehnend.
Bernhard war ein Zisterzienser-Mönch, Gelehrter und Mystiker seiner Zeit aber es bleibt unklar ob er alle diese esoterisch-spirituellen Aspekte der »Sophia« bewusst in den Tempelritter-Orden einbrachte.
[1] Die Datierung ist umstritten; wahrscheinlich um das Jahr 1139 verfasst.
[2] Die Grenzgebiete wurden von Ribats verteidigt. Ein Ribat ist eine Grenzfestung, die entlang der Grenzen zu nichtislamischen Staaten stand. Das Wort »Ribat« drückt zugleich auch eine Lebenseinstellung aus. Die muslimischen Bewohner solcher Festungen waren nicht nur kampfbereite Krieger, sondern auch gläubige Gelehrte, die sich u.a. der moralischen Unterstützung der Kämpfer widmeten.
[3] Bertrand von Blanquefort (um 1109-1169), der 6. Großmeister des Tempelritter-Ordens, führte wahrscheinlich beide Siegel um 1157 ein.
[4] vgl. Bernhard v. Clairvaux. Sämtliche Werke (Latein/Deutsch). Band I. Herausgegeben von Gerhard B. Winkler. Tyrolia-Verlag. Innsbruck 1990. S. 287.
[5] ebenda. S. 287.
[6] vgl. Bernhard v. Clairvaux. Sämtliche Werke (Latein/Deutsch). Band I. Herausgegeben von Gerhard B. Winkler. Tyrolia-Verlag. Innsbruck 1990. S. 285.
[7] vgl. Alain Demurger. Die Templer – Aufstieg und Untergang 1120-1314. C. H. Beck. München 1991. S. 58f.
[8] Johannes der Evangelist nennt sie nur im exoterischen Sinne »Mutter Jesu« - vgl. Johannes 19,25 (Luther-Bibel).
[9] Baubeginn war am 23. Februar 532 n. Chr. und die Weihe des Rohbaus fand am 27. Dezember 537 statt.
[10] vgl. Johannes 20ff (Luther-Bibel)
[11] Maria Magdalena ist die Gefährtin Jesu Christi; jene die der Herr mehr liebte als alle anderen Jünger, wie es im Philippus-Evangelium heißt. – vgl. Philippus-Evangelium, Spruch 55: »Die Sophia, die man die ‚Unfruchtbare‘ nennt, sie ist die Mutter [der] Engel. Und die Gefährtin von [Christus] ist Maria Magdalena. Der [Herr liebte] sie (35) mehr als [alle] (anderen) Jünger, und er küsste sie [oftmals] auf ihren [Mund].«
[12] vgl. Calendarium Romanum Generale. Libreria Editr. Vaticana. 1969. S. 131.